Kurzgeschichte von Bella Sorriso - Teil 1 // Februar 2019
Ich spüre ihn nah bei mir. Er schmiegt sich eng an meinen Rücken und ich kann seine muskulösen Arme spüren, die langsam und sanft über meinen Körper wandern. Es beginnt langsam hell zu werden und das Tageslicht fällt durch die leicht geöffneten Vorhänge. Ich sehe die zerwühlten Laken, die ein bizarres Muster zeichnen, während er sanft über meinen Arm streicht und zärtlich meine Hand in seine nimmt. Seine Finger schließen sich um meine und ich lasse mich fallen. Verliere das Gefühl für die Realität. Die Begegnung mit ihm war auch dieses Mal wundervoll gewesen. Gestohlene Zeit und dennoch so wertvoll und besonders. „Ich liebe dich nicht mehr“ flüstert er in meinen Nacken. Ich erstarre und versuche zu begreifen, was er soeben gesagt hat.
Seine Gefühle für mich? Diese wundervolle, einzigartige und nahezu magische Bindung – einfach weg? Ich erstarre nicht nur äußerlich, erst recht innerlich. Zu unerwartet kommt diese Mitteilung. Wir hatten uns gestern getroffen. Wie all unsere heimlichen Treffen, war auch dieses aufregend und atemberaubend. Ein romantisches Essen mit hervorragendem Wein. Eng umschlungen in das Hotelzimmer spazieren, Rosenblätter die er vorher auf dem Bett verteilt hatte. Ich spüre spontan Übelkeit in mir aufsteigen. Eine Faust, die mit voller Kraft meinen Magen trifft. Ich kann nicht mehr atmen, ein widerliches Würgen hängt in meiner Kehle. Ich glaube ihm nicht! Nichts davon! Kein Wort! Es ist zu absurd, zu unglaubwürdig und trotzdem zerreißt mich dieser Satz in viele kleine Stücke. Mein Hals ist zugeschnürt und es ist mir unmöglich, einen Ton herauszubringen. Ich weiß, dass ich jetzt reagieren muss. Mit aller Kraft versuche ich Luft zu bekommen. Sauge den lebensnotwendigen Sauerstoff tief in meine Lungen ein. „Atme – atme – atme –atme“ Wie ein Mantra ist dieses Wort das Einzige, an das ich jetzt gerade denken kann, denken will. Ich zwinge mich dazu, mich ausschließlich auf dieses simple Wort zu konzentrieren. Wenn ich das schaffe, ist kein Raum für den anderen, den neuen, den unfassbaren Gedanken.
Er liegt noch immer hinter mir. Ich spüre seine Hand in meiner. Er streichelt sanft über meine Fingerspitzen und diese Bewegung brennt wie Feuer auf meiner Haut. Ich krümme mich zusammen. Es tut weh. Alles in mir tut weh. Ich habe das Gefühl nicht mehr zu leben, nur zu existieren und zu funktionieren. Warum kann ich jetzt nicht einfach verschwinden? Ich will jetzt nicht hier sein. Will das nicht erleben. Während ich mit dem Gefühl kämpfe meine Hand aus seiner ziehen zu wollen und zu schreien, bleibe ich unbeweglich. Die Angst ihn nie wieder zu spüren, wenn ich jetzt falsch reagiere, ist übermächtig. Wenn dieser enge Körperkontakt abbricht, die Verbindung sich auflöst, er auch nur einen Zentimeter von mir abrückt, wird alles vorbei sein. Verzweifelt und fassungslos liege ich in seinem Arm, das Streicheln seiner Finger schmerzt immer noch. Es schmerzt immer mehr und trotzdem kann ich mich nicht von ihm lösen. Nicht jetzt, nicht so schnell, ich bin nicht bereit.
Während ich versuche, mich an diesen Moment zu klammern, fliegen Bilder an mir vorbei. Wirr und ungeordnet. Ich will sie nicht sehen, aber sie sind da. Venedig, Momente in denen er die Fahrt unterbrach nur um mich zu küssen, endlose Gespräche, seine Art mir zuzuhören und mich zu verstehen, seine Hände die mit meinen Locken spielen, Wind der durch mein Haar fährt. Wein der in das Glas fließt und rote Spuren auf den Lippen hinterlässt, Sommernächte, heimliche Küsse, heimliche Nachrichten, heimliche Telefonate, alles heimlich und doch so unglaublich zärtlich und vertraut. Jede Erinnerung so unglaublich schön und wertvoll. So bedeutsam für mich und zu wichtig, um sie zu entweihen. Wir sind wie zwei alte Seelen, wir haben immer nacheinander gesucht und es war eine Fügung des Schicksals, dass wir uns an einem Frühlingsabend getroffen hatten. Wir gaben uns das, was wir nicht nur in diesem Leben vermisst hatten. Liebe, Geborgenheit, Verständnis und Wärme. Ein gegenseitiges Auffangen und Umfangen.
Die Welt ließen wir draußen und bauten uns unsere eigene Welt. Eine Welt in der nichts zählte, nur der Moment. Ich hatte ohne zu zögern alles aufgegeben, alles hinter mir gelassen und ich musste niemals einen Blick zurückwerfen, um zu wissen, dass es richtig gewesen war. Nicht der Hauch eines Zweifels, keine Angst, nur Vertrauen und Zuversicht und ein tiefes Glücklichsein auf dem Weg in unser neues Leben. Gemeinsam. Du und ich. Und jetzt? Alles vorbei? Habe ich wieder versagt? Wieder einmal in meinem Leben? Welche Fehler hatte ich gemacht? Ich hatte doch nur geliebt. Geliebt mit Herz und Seele. Ich sollte versagt haben, wieder einmal? Ich fühle mich so schrecklich verloren und wie gefangen in diesem Alptraum, der nicht zu enden scheint. „Ach du… Es tut mir leid.“ Ich versuche, seine Worte auszublenden. Versuche nicht zu denken. Nicht an heute, nicht an gestern und vor allem nicht an morgen oder noch schlimmer an den Moment, der jetzt unweigerlich folgen wird. Irgendwann wird er meine Hand loslassen. Ich werde ihm in die Augen sehen müssen. Was soll ich sagen? Wie mich verhalten? Darf ich weinen? Muss ich stark sein? Darf ich wütend und verletzt sein? Darf ich ihn verletzen? Mit Worten? Mit Fäusten? Ich weiß es nicht und ich will es nicht wissen. Obwohl ich die Berührung kaum ertragen kann, versuche ich es weiterhin rauszuzögern und alle Gedanken abzustellen. Zähle meine Atemzüge, um nicht denken zu müssen. Denken macht alles noch viel schlimmer.
Fortsetzung folgt...