Kurzgeschichte von Bella Sorriso - Teil 2 // Februar 2019
Ich werde im Moment leben, werde jeden Tag so nehmen, wie er kommt und werde ihn am Abend einfach ziehen lassen. Kein Nachdenken, kein Revue passieren lassen, nichts. Die Momente sollen kommen und gehen und keine Bedeutung für mich haben. Obwohl ich weiß, dass ich längst hätte gehen sollen, genieße ich seine Wärme, seine Nähe, seine Umarmung, seine Küsse an meinem Hinterkopf. Er gibt mir noch immer das Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit und Schutz vor allem, was im nächsten Moment auf mich einstürmen wird. Noch kann ich vor dieser Welt da draußen fliehen. Solang ich ihm so nahe bin, kann ich vergessen und befinde mich in einem Schwebezustand. Ich fühle immer noch das Glück und ich spüre, dass ich lebe. Er redet weiter und wir lachen. Egal was er gerade gesagt hat, da ist immer noch dieses bittersüße Gefühl der Verbundenheit und der niemals endenden Liebe. Wie viele Menschen haben niemals eine Begegnung mit ihrem Seelenmenschen? Hier ist meiner. Ich kann ihn nicht gehen lassen.
Müsste ich ihn jetzt nicht hassen? Hassen für seine leise geflüsterten Worte? Geflüstert in einem denkbar ungeeigneten Moment. Worte, die immer noch in mir nachklingen und aus der Atemlosigkeit mittlerweile eine tiefe Trauer gemacht haben? Ich kann ihn nicht hassen. In mir ist nach diesen vielen Jahren zu viel Erinnerung, zu viel Gemeinsamkeit, zu viel Liebe. Aber ich will ihn hassen, ich will ihn schlagen, ihn anschreien und ihn so verletzen wie er mich verletzt hat. Ich will ihn an den Schultern packen und ihn schütteln und doch liege ich immer noch in seinen Armen und liebe ihn…
Ich will ihn halten, bis er begriffen hat, dass er gerade einen furchtbaren Fehler macht. Während die Tränen über meine Wangen laufen, sage ich ihm, dass ich wissen will, wie es ihm geht und dass ich immer da sein werde, wenn er mich braucht. Ich werde weiterhin mit ihm lange Spaziergänge machen, Wein trinken und über das Leben philosophieren. Vielleicht ist es auch nur mein Egoismus, der mich das sagen lässt. Ich möchte mich weiterhin an seine Schulter lehnen können, wenn ich eine starke Schulter brauche und ich will diese Vertrautheit nicht verlieren. Will das Gefühl, verstanden zu werden, nicht gehen lassen. Ich will in seine Augen sehen und die gleichen Emotionen sehen, die er in meinen Augen sehen kann. Beste Freunde, die über alles sprechen. Die ihre dunkelsten Geheimnisse und verstecktesten Sorgen teilen können und die sich nachts mit ihren Körpern und ihren Seelen die Kraft geben, die sie beide brauchen um leben zu können.
Werde ich wirklich so leben können oder wird es lediglich ein fauler Kompromiss sein, an dem ich letztendlich zerbrechen werde? Tief in mir glaube ich zu wissen, dass wir etwas besonderes und einzigartiges haben, etwas das uns immer verbinden wird. Egal was passiert, ich werde meine Tür jederzeit für ihn öffnen. Werde für ihn da sein, wenn er mich braucht. Ihn umarmen und stützen, wenn er genau das braucht und irgendwann wird er wissen, dass ihn niemals vorher und auch niemals danach jemand so geliebt hat, wie ich es tue. Er wird erkennen, dass ich alles bin, was er braucht und ich weiß, dass alles was ich im Moment brauche, Geduld ist. Er würde mich nicht immer noch fest umschlungen halten, wenn er mich tatsächlich nicht mehr lieben würde.
Irgendwann ist es geschafft. Wir haben diesen vorläufig letzten Abschied mit Stil gemeistert. Zu wissen, dass es das nicht gewesen ist, hat es mir leicht gemacht stark zu sein. Zum Abschied hielt er mich fest umschlungen und er flüsterte sanft „Du bist eine ganz besondere Frau.“ Ja, die bin ich und für ihn würde ich sie immer sein. Eine Liebe wie die unsere überstand alles.
Während ich auf mein Auto zugehe, frage ich mich, warum das Leben immer so kompliziert sein muss. Er hatte mich zum Abschied geküsst, immer und immer wieder. Es hatte etwas Inniges und ich spürte, dass er mich nicht gehen lassen wollte. Ich habe das Gefühl, dass wir uns selten so nah waren, wie in diesem Moment. Der Tag hatte furchtbar angefangen und doch war jetzt wieder Hoffnung und Zuversicht in mir. Ich wusste, es würde weitergehen. Es war kein endgültiger Abschied gewesen.
„Bella“ Er stand auf der anderen Straßenseite. Mein Herz schlug schneller und ich konnte nur seine leuchtenden Augen wahrnehmen. So wunderschön. Er wollte sich also noch einmal von mir verabschieden und mir vielleicht sogar jetzt schon sagen, dass er mich liebt? Ich lief ihm lächelnd entgegen. „Ich habe vergessen dir deinen Schlüssel zurückzugeben.“ Fassungslos bleibe ich mitten auf der der Straße stehen und versuche seine Worte zu begreifen und das Gefühl in meinem Magen zu ignorieren. Ich sehe in seine Augen und bemerke, wie sich sein Gesichtsausdruck verändert. Das lässige Grinsen verschwindet. Tut es ihm jetzt schon wieder leid? Weiß er überhaupt was er will?
Ich muss an seine Küsse denken, die waren kein Abschied, sie waren ein Versprechen. Ein Versprechen an unsere Zukunft. Er blickt mich weiterhin irritiert an, dann erschrocken und schließlich spiegelt sich in seinen Augen pures Entsetzen, dass ihn von einem Moment auf den anderen aschfahl werden lässt. All das spielt sich in Sekundenschnelle ab und dennoch bleibt mir genug Zeit, um alles genau wahrzunehmen. Ich höre seine Stimme etwas rufen, kann ihn aber nicht verstehen. Ich glaube, er ruft meinen Namen. Wedelt mit den Armen. Er hat den Mund geöffnet und ich glaube, dass er schreit. Ich kann nicht hören, was er mir begreiflich machen will und ich will es auch nicht hören, weil mir genau in diesem Moment auffällt, wie schön er ist und wie intensiv seine Augen strahlen.
Der schwarze SUV erwischt mich in voller Fahrt. Ich spüre einen Schlag und die Füße werden mir weggezogen. Spüre wie ich mit der Hand über die Motorhaube streiche. Es fühlt sich alles so merkwürdig an und in meinem Kopf hörte ich „Don`t you cry tonight. There’s a heaven above you baby“ von Aerosmith. Keine Ahnung woher dieses Lied jetzt kommt. Ich befinde mich in einem seltsamen, traumähnlichen Zustand. Bin im freien Fall zwischen Zeit und Raum. Müsste ich jetzt nicht Angst oder Schmerzen haben? Ich spüre, wie ich über das Auto gehoben werde. Dann schlage ich auf und werde unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Es ist wie ein Hammerschlag, der mit voller Wucht auf meine Brust prallt. Alle Luft entweicht mit einem Mal meinen Lungen und ich kann aufgeregte Stimmen hören. Seine ist auch dabei. Ich erkenne sie sofort und ich spüre, dass er da ist. Er ist mir ganz nah und streicht mir zärtlich über die Wange. Ich wusste, dass er immer da sein wird. Ich muss lächeln, zumindest tief in mir drin lächle ich und auf einmal ist alles da draußen nicht wichtig. Mir wird kalt und es wird dunkel. Die Angst ist weg, ich auch…